Dies erklärten jetzt Gudrun Kämmerling, die 1. Vorsitzende des Schulvereins Wittgenstein e. V., und Christian Tang, Schulleiter des Gymnasiums Schloss Wittgenstein. In  diesem Zuge verdeutlichten beide das Problem des Abiturs nach zwölf Jahren (G8): Es gäbe keinen „Turboschalter“ für die persönliche Entwicklung der Schülerinnen und Schüler. Beim Eintritt in die gymnasiale Oberstufe seien die Schüler oftmals erst 15 oder 16 Jahre alt. „Das fehlende Jahr merkt man“, so Schulleiter Christian Tang. „Es fehlte die Zeit für eine zusätzliche Vertiefung des Stoffes. Den Zeitdruck hat man überall im System bemerkt“, so der Schulleiter weiter. Mit dem Ende des „Turbo“-Abiturs solle der Druck auf die Schüler reduziert werden.

Das GSW will zum Schuljahr 2019/2020 auf G9 umschwenken, auch die Lernpläne greifen ab diesem Zeitpunkt. Das bedeutet, dass die Kinder, die derzeit die vierte Klasse besuchen, wieder ihr Abitur nach 13 Jahren machen können. Dies gilt ebenfalls für die Schülerinnen und Schüler, die momentan die fünften Klassen der Schloss-Schule besuchen.

Schulträger und Schulleitung des GSW sehen in dem Abitur nach 13 Jahren deutliche Vorteile für die Schüler, denn ihnen steht mehr Lernzeit zur Verfügung. So rückt jeder Schüler stärker in den Blick, kann sich mit mehr Ruhe entwickeln und individuell gefördert werden. Vor allem für die Hauptfächer Deutsch, Mathematik und Englisch stehen im Vergleich zu G8 mehr Unterrichtsstunden zur Verfügung, die für individualisierte Lern- und Übungsformen sowie für umfangreichere Projektarbeit genutzt werden können.
Die zweite Fremdsprache (Lateinisch oder Französisch) beginnt erst in Klasse 7, der Wahlpflichtbereich verschiebt sich in Klasse 9 und 10. Durch den bilingualen Unterricht in Klasse 8 und 10 wird Englisch zusätzlich als Arbeitssprache geübt.

Die Schüler erreichen vor Eintritt in die Oberstufe den mittleren Schulabschluss, was bei G8 nicht der Fall war. Sie erlangen diesen Schulabschluss also am Ende der Sekundarstufe I (Klasse 10) und haben somit mehr Entscheidungsmöglichkeiten für ihre weitere Ausbildung.
„Zudem wird den Schülerinnen und Schülern der Schwesterschule der Wechsel ins Gymnasium erleichtert. Bislang mussten die Absolventen der Realschule nach der 10. Klasse nochmals in die 10. Klasse des Gymnasiums einsteigen, um die Bedingungen der Oberstufe zu erfüllen“, erklärt Christian Tang.
Auch das Latinum wird am Ende der Klasse 10, also vor Eintritt in die Sekundarstufe II, erreicht. Das macht es leichter, in der Oberstufe z.B. ein Auslandssemester einzufügen.

In Einzelfällen wird es das Abitur nach zwölf Jahren geben, wenn Schüler das elfte Schuljahr bei sehr guten Leistungen überspringen. Sie sollen individuell gefördert werden.
„Der aktuelle Gesetzentwurf sieht vor, dass für die Klassen 5 bis 10 der Gymnasien mit neunjährigem Bildungsgang insgesamt 188 Wochenstunden vorgesehen sind, von denen acht nicht verbindlich sind. Pro Jahr wären das durchschnittlich 30 verbindliche Wochenstunden, also sechs pro Tag“, erklärt Schulleiter Christian Tang.

Insgesamt gäbe es also wieder mehr Gestaltungsmöglichkeiten und durch die „Entzerrung der Stoffdichte“ im Unterricht langfristig einen besserer Lerneffekt. Zudem hätten die Schüler wieder mehr Zeit für außerschulische Interessen. „Die Vereine in der Region bekämen wieder mehr Kundschaft, weil es nicht mehr so viel Nachmittagsunterricht geben wird“, erklärt Gudrun Kämmerling vom Schulverein. Auch der Bereich der freiwilligen Arbeitsgemeinschaften, der durch die hohe Stundenbelastung stark eingeschränkt war, könnte wieder belebt und ausgebaut werden, um Schule nicht nur als Lern-, sondern auch als Lebensraum zu erfahren.

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